Interview mit dem 'First International Ukrainian-German Forum'

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Herr Schwerdt, Sie haben eine deutsche Seite über Reisen in die Ukraine erstellt, wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Die Seite bzw der Anfang zu der Seite war im Grunde aus der Not geboren. 2016 reisten meine Familie und ich drei Wochen durch die Ukraine um Familie zu besuchen und auch um neue Plätze zu entdecken. Lwiw stand das erste Mal als längerer Stop auf der Liste. Dann eine gewisse Zeit in Winnyzja und zum Schluss noch ein kurzer Halt in Kyїv. 2016 war eine Zeit, in der die Nerven in dem Land zum Zerreißen gespannt waren. Der Krieg im Osten hielt seit zwei Jahren an und flammte immer wieder auf. Und diesen Zustand merkte man der Bevölkerung durchaus an. Die Stimmung war, wie wir auch erwarteten, nicht wie vor 2014.

Die Menschen machten einen eher depressiven, gleichgültigen Eindruck. Auf der Reise gab es einige Begegnungen und Erfahrungen, über die ich im Nachgang schreiben wollte. Auf Deutsch, für eine deutsche Leserschaft, da mir klar wurde, dass der Westen, bzw die Bevölkerung im Westen, nicht die geringste Ahnung hat was in der Ukraine passiert. Ein Land wird langsam in den Mühlen eines Machtapparats zermahle - schon wieder.

Ich suchte nach einem geeignetem Platz für meine Gedanken und ich fand keinen. Also habe ihn erschaffen. Am Anfang auf Facebook, erst sehr viel später auch als eigenständige Seite. Überraschend war für mich in der Anfangszeit, dass ich sehr viel Zuspruch erhalten habe und deutlich mehr Menschen erreicht habe, als ich mir erträumt hatte. Das, und die Hilfe von vielen Freunden, Fotografen und Künstlern auf Facebook, die mich auf Inhalte hinweisen und mir erlauben Bilder und Videos zu nutzen hat mich dann dazu gebracht mehr zu sammeln und nach Möglichkeit auf Deutsch zu publizieren.

Was wird für deutsche Touristen in der Ukraine interessant sein?

Vielfalt. Man kann es tatsächlich mit diesem einen Wort beantworten. Die Menschen im Westen möchten immer wieder neue Dinge erleben und kennenlernen. Und genau das bietet die Ukraine. Man kann in diesem Land so viele unterschiedliche Dinge erleben und erkunden. Genau das ist es, was den Erfolg bringen wird. Dafür ist es aber notwendig das Außenbild der Ukraine im Westen aufzubauen und zu schärfen.

Werden Sie Redner des ukrainisch-deutschen Forums zur Tourismusentwicklung zwischen den Ländern, sehen Sie in diesem Bereich Wachstumspotenzial?

Meiner Meinung nach ist es für die Ukraine elementar, im Bereich Tourismus zu wachsen und den Tourismus (von außen) als einen wichtigen Wirtschaftsbereich der Ukraine zu etablieren. Die Ukraine braucht dringend mehr Vielfalt in der Wirtschaft um in Krisen finanziell handlungsfähig zu sein. Der Tourismus als Wirtschaftsbereich sollte viel weiter nach oben priorisiert werden.

Der Weg zu einem echten Beitrag am BIP der Ukraine ist aber noch sehr lang und steinig. Die Ukraine wird im Vorfeld investieren müssen um mittelfristig ein Wachstum zu erzeugen. Auf große Hilfe aus der EU sollte man in diesem Punkt nicht hoffen.

Was sollte die Ukraine tun, um für deutsche Touristen attraktiver zu werden?

Zu diesem Punkt werde ich anlässlich des Forums am 20.09.2021 sprechen. Denn hier sehe ich tatsächlich sehr großen Handlungsbedarf in der Ukraine.

Es geht nicht darum neue spektakuläre Attraktionen um Land zu schaffen, sondern um das was man hat besser zu vermarkten.

Die Hauptursache für das Ausbleiben einer größeren Anzahl Touristen aus dem Westen ist ein verzerrtes oder nicht vorhandenes Außenbild der Ukraine im Westen. Die potentiellen Touristen wissen nichts mit dem Land anzufangen oder haben falsche Vorstellungen.

Medial findet die Ukraine nicht statt. Die einzigen Berichte zur Ukraine sind politisch und meist behaftet durch Konflikte. Dazu kommen ab und an Dokumentationen, die aber zumeist einen geschichtlichen Hintergrund haben und nur begrenzt hilfreich sind um Touristen für die Ukraine zu begeistern.

Ich bin immer wieder erstaunt, was für ausgesprochen hochwertiges und aktuelles Werbematerial (Film) aus der Ukraine über das Land existiert und erstellt wird. Nur wird das Material kaum eingesetzt. Hier muss man dringend von Israel oder auch der Türkei und Skandinavien lernen und investieren. Die Ukraine muss Werbung in allen Kanälen (TV, Facebook, YouTube, Instagram, ..) in deutscher Sprache schalten um sich zu präsentieren. Ja, das sind große Investitionen. Ohne sie wird der Tourismus von Außen aber kaum wachsen.

Ein weiterer Punkt ist, dass man mit großen Reiseanbietern reden muss um zB Stadtreisen nach Lwiw, Odesa oder Kyїv in das Angebot zu nehmen und zu priorisieren. Ich möchte, dass wenn ich bei meinem großen Reisebüro nach einer Wochenendreise in eine Stadt in Osteuropa frage, ich auch auch Städte aus der Ukraine angeboten bekomme und nicht nur die “Klassiker” wie Prag, Riga, Warschau, St.Petersburg, .. Mir ist klar, dass es kleine spezialisierte Reisebüros mit diesen Angeboten gibt. Dieses Angebot wird aber nicht reichen um Wachstum im Tourismus der Ukraine zu erzeugen.

Im Land muss unbedingt weiter an der Infrastruktur gearbeitet werden. Die durchaus erkennbaren Fortschritte und Erfolge der letzten Zeit müssen fortgeführt werden. Die Infrastruktur muss “tourismus-tauglich” gemacht werden. Für einen Deutschen ist es zum Beispiel schwer möglich eine Bahnfahrt zu organisieren. Viele tolle Punkte in der Ukraine sind für den “normalen Touristen” kaum zugänglich. Hier besteht Handlungsbedarf.

Und ein letzter Punkt, den ich an dieser Stelle anbringen möchte, die Abfertigung an der Außengrenze zur EU muss vereinfacht und verbessert werden. Das kann natürlich nur in enger Zusammenarbeit mit der EU erfolgen. Für mich ist der Punkt aber durchaus zu erwähnen, da ich immer wieder höre, wie abschreckend die zum Teil stundenlangen Wartezeiten bei Ein- und Ausreise mit dem PKW sind.

Herr Schwerdt, neben dem Tourismus liegen Sie das Schicksal der Ukraine sehr am Herzen, danken wir dafür! Warum interessieren Sie sich für die Ukraine?

2002 habe ich eine wunderbare Studentin in Braunschweig kennengelernt. Sie stammt aus einer Stadt, von der ich zuvor noch nie hörte - Czernowitz in einem Land, welches ich zwar auf der Landkarte gefunden hätte, zu dem ich aber bis dato keinen Bezug hatte. Seit 2007 sind wir glücklich verheiratet. Und wenn man eine Ukrainerin heiratet, dann heiratet man meist das ganze Land und die Kultur.

Uns ist es sehr wichtig beide Kulturen in der Familie zu leben, so gut das geht. Das hat natürlich sehr spannende Vorteile für die Töchter, wie zum Beispiel zwei Mal Weihnachten und Ähnliches. Aber dazu gehört auch, dass unsere Töchter zweisprachig aufwachen um das Ukrainische weiter zu leben mit dem Lebensmittelpunkt in Deutschland. Mir persönlich macht es Spaß in der Kultur der Länder immer wieder Unterschiede aber auch sehr viel Gemeinsamkeiten zu entdecken und zu ergründen.

Deutschland und die Ukraine sind, wenn man sich mit der Geschichte befasst, deutlich enger verbunden, als viel ahnen - im Guten wie im Schlechten. Das darf nicht in Vergessenheit geraten und das wird es nicht.

Nennen Sie schließlich drei Dinge, die Sie der Ukraine wünschen möchten.

  • Frieden. Der Krieg, der nun seit dem Jahr 2014 herrscht und immer wieder aufflammt, auch wenn er lokal begrenzt ist, lähmt das ganze Land und liegt wie ein grauer Schleier über dem größten Land Europas.

  • Endlich richtig erwachen. Die moderne Ukraine ist nun 30 Jahre alt und vollzieht noch immer in vielen Bereichen so etwas wie einen Dornröschenschlaf. Ich wünsche der Ukraine, dass man einen Weg findet präsenter zu werden und den richtigen Platz in Europa einzunehmen.

  • Sinn für Nachhaltigkeit. Ich wünsche, den Menschen in der Ukraine, dass sie auch über Nachhaltigkeit nachzudenken und nachhaltig handeln. Wir haben nur diesen einen Planeten. Wenn wir- über Tourismus und Wachstum reden, sollte man auch immer darauf achten Fehler zu vermeiden, die andere Länder in der Vergangenheit machten. Unsere Kinder und Enkel sollen die gleichen tollen Dinge besuchen und erkunden können wie wir.

Interview im Vorfeld des First International Ukrainian-German Forum. Gesprächspartner waren die Initiatoren des Forum und Thomas Schwerdt, Gründer und Betreiber von 'Reiseberichte Ukraine / Подорожуючи Україною'
Avatar photo Die Eskalation des Krieges am 24.Februar 2022 hat alles verändert. Auch diese Seite und über was wir schreiben. Wir schreiben weiter über die Ukraine, was war, was ist und was wieder wird, wenn der Feind besiegt ist.
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