Unsere Freundin
NAVKA
lebt nun schon seit einigen Monaten bei uns in der Nähe von Wolfenbüttel. In Sicherheit vor dem Terror durch Russland, aber getrennt von ihrem Mann, der an der Front steht, dient und die Ukraine verteidigt.
Wer NAVKA bzw. Maryna kennenlernt, merkt sofort, diese Frau kann nicht still sitzen. Sie muss etwas bewegen, sie muss singen, was ihr Beruf und ihre Berufung ist, und sie hat Energie und Ausstrahlung, die ansteckend ist. Seit sie hier in Deutschland ist, ist sie dabei, Hilfe für die Heimat zu organisieren, Spenden mit Konzerten zu sammeln und zu lernen, sich in diesem fremden Land zurechtzufinden - zu integrieren.
Wo Maryna ist, ist das Leben.
Vor einigen Wochen hat Maryna den Entschluss gefasst, einen Transporter zu organisieren, vollzupacken und an die Front zu bringen. Es gibt für sie zwei Motivationen für diese nicht einfache Reise. Zum Einen möchte sie Hilfsgüter in die Ukraine liefern. Und zum anderen wird es Zeit, ihren Mann nach nun fast zehn Monaten wieder zu sehen.
Und wenn sie sich etwas in den Kopf setzt, dann wird es umgesetzt. Ein Transporter wurde gefunden, mit vielen Freunden hier in
Wolfenbüttel beladen, und dann ging es los. Ein ziemlich mulmiges Gefühl für uns, sie mit dem Transporter alleine losfahren zu lassen. Eine Reise von über 2000 km in ein Gebiet, in dem Krieg herrscht.
Mit Zwischenstopps in Polen, in den Karpaten der Ukraine und ihrer Heimatstadt Чернівці /
Czernowitz, erreichte Maryna Одеса /
Odesa, Treffpunkt mit ihrem Mann. Ab hier ging es gemeinsam in Richtung Cherson.
Eindrücke der letzten Kilometer der Fahrt nach Херсон /
Cherson. Ein Bild der Verwüstung, welches die Russen zurückgelassen haben.
Es gibt Dörfer, „in denen nicht mal mehr ein halbes Haus stehen geblieben ist. Und dennoch wohnen in den Trümmern Zivilisten, die ihre Heimat nicht verlassen möchten.”
Die Fahrt mitten durch das Gebiet, welches massiv zerstört wurde, ist bedrückend. Überall ist das Leid zu sehen. Es ist großflächig alles zerstört oder geplündert. Russland ging nach der Taktik „was ich nicht mitnehmen kann, muss ich zerstören” vor.
Der Wiederaufbau im Frieden wird lang dauern. Zuvor wird man Minen räumen müssen. Es ist unglaublich gefährlich, sich in dem Gebiet zu bewegen. Die Russen haben auf dem Abzug überall perfide Sprengfallen hinterlassen.
Bilder von der Fahrt und von den Leuten vor Ort und im Klinikum.
Ein weiteres riesiges Problem für die Zukunft in dieser Region ist die Verminung von ganzen Landstrichen und die Unmengen an explosiven Stoffen im Boden. All diese Dinge werden im Frieden geräumt. Es wird Jahre dauern, um hier wieder gefahrlos leben zu können.
Das Bild zeigt gesammelte Panzerminen. Jede stark genug, einen Kampfpanzer zu zerfetzen.
Neben den Zerstörungen und den Problemen mit Kampfmitteln im Boden kommen die Dinge, die die Besatzer in der Zeit der Besatzung mit den Zivilisten angestellt haben. Maryna hatte Zeit, sich mit vielen Menschen zu unterhalten.
Russland hatte vor, in dem Gebiet russische Schulen zu eröffnen und alle Kinder nach dem russischen Modell zu unterrichten. In Vorbereitung sammelten die Besatzer alle ukrainischen Bücher ein und vernichteten diese. Man könnte anfangen, Parallelen in die Vergangenheit zu ziehen. Die Schulen wurden mit Büchern aus Russland versorgt und die Kinder sollten nun diese Schulen ab Oktober besuchen. Viele Eltern wollten das nicht und ließen die Kinder zu Hause, um sie dort zu unterrichten. Ihr Argument war, „Auf die Straßen zu gehen ist lebensgefährlich. Wenn man auf die Straße geht, muss man damit rechnen, jeder Zeit erschossen zu werden. Auch Kinder. Wir lassen die Kinder nicht raus.”.
Die Besatzer gingen gezielt in solche Familien, nahmen die Kinder aus den Familien und deportieren diese Kinder nach Russland. Wie viele Kinder auf solche und ähnliche Weise verschwanden weiß keiner genau. Manchmal wurden die Eltern an Ort und Stelle ermordet. Wir gehen von sehr vielen deportieren Kindern aus.
Nach der Ankunft in Cherson ging es an die Verteilung der Hilfsgüter.
Kleine Video-Schnipsel von der Ankunft in Cherson, am Stadtschild, mitten in der Nacht und dem Entladen der Hilfsgüter am nächsten Tag. Überall sind kleine Kinder. Und natürlich gibt es Süßigkeiten.
Der Transporter bleibt in diesem Gebiet und wird dienen, weitere Mittel aus dem Hinterland in die zerstörten Regionen zu befördern, um die Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen.
Nach der Übergabe der Hilfsgüter geht es zurück nach Odesa. Es ist der Tag, in dem in den deutschen Nachrichten darüber gesprochen wurde, dass es einen Stromausfall in Odesa nach Angriffen auf Infrastruktur gekommen ist. Ich möchte diese Nachricht mit dem Wissen von Maryna konkretisieren. „In den drei Tagen, die ich in Odesa war, gab es zu keiner Zeit Strom, fließend Wasser oder Wärme.”
Es macht den Anschein, dass in den deutschen Nachrichten nur noch ein Bruchteil des Leids gezeigt wird, welches die Bewohner der Ukraine über sich ergehen lassen müssen, ohne aufgeben zu wollen.
Für Maryna geht es über Львів /
Lwiw mit dem Bus zurück nach Deutschland, nach Wolfenbüttel. Im Gepäck viele Dinge, die sie erlebt und gesehen hat, die sie selbst verdauen muss und die sie prägen werden. Wir waren sehr glücklich, sie mitten in der Nacht in Braunschweig vom Reisebus abholen zu können.
Und wir wissen, dass es sich wiederholen wird.
Danke sagen möchten wir an dieser Stelle auch im Namen von
NAVKA
, jenen Helfern und Organisationen, die diese Reise ermöglicht haben und dafür gesorgt haben, dass der Transporter bis unter das Dach gefüllt war, mit Dingen, die in Cherson dringend benötigt werden.
Dieser Artikel ist im Original am 23.03.2022 auf
stadtschreiberin-odessa.de
erschienen. Besucht bitte die Seite von Ira, die in Ihrer Zeit in Odesa viel über diese wunderbare Stadt in der Ukraine geschrieben hat.
Bei
Die Goldenen Blogger
hat Ira Peter mit „Stadtschreiberin Odessa“ in der Kategorie „Newcomer*in“ 2022 gewonnen. 🏆Herzlichen Glückwunsch.🏆
Die Eskalation des Krieges am 24.Februar 2022 hat alles verändert. Auch diese Seite und über was wir schreiben. Wir schreiben weiter über die Ukraine, was war, was ist und was wieder wird, wenn der Feind besiegt ist.
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