Vom Maidan bis heute: Ein Rückblick auf Mut, Begegnungen und das Weiterleben inmitten von Krieg

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Ein Gastbeitrag von Alexander Harder.

Liebe Freunde,

einige von euch sind erst seit Februar 2022 Teil unserer Community, andere schon seit 2014. Deshalb starte ich heute Abend spät einen Rückblick. Beginnen möchte ich mit meinen Fotos vom Maidan in Kyjiw, aufgenommen am 27. Februar 2014 – dem Tag, an dem Wiktor Janukowytsch Asyl in RuZZland erhielt.

Eigentlich hatten Yana und ich unseren Flug für den 23. Februar abgesagt. Mit unserem Sohn Taras, der damals gerade vier Jahre alt war, wollten wir kein Risiko eingehen. Wir hatten noch die Bilder der Berkut-Einheiten im Kopf – Männer, die zu allem bereit schienen. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Wenn ich mich richtig erinnere, floh Janukowytsch in der Nacht auf den 23. Februar aus Kyjiw. Als ich es morgens im Radio hörte, sagte ich sofort Yana Bescheid. Ihre erste Reaktion: „Fliegen! Sind die Tickets vielleicht noch gültig?“ Ein Anruf am Lübecker Flughafen: „Ja, Ihre Tickets sind noch im System. Sie können fliegen.“ Wir packten unsere Koffer in Windeseile und düsten nach Lübeck.

Ich erinnere mich, dass der Flug sehr ruhig war. Kaum jemand sprach an Bord. Der Landeanflug und die anschließende Landung wirkten fast gespenstisch. Mama und Papa holten uns ab. Gleich am Flughafen der erste Blockposten – die Jungs schauten, waren aber höflich und ließen uns weiterfahren. Es folgten noch mehrere Blockposten, bis wir aus der Stadt waren – alle ohne Probleme. Bei einem stieg ich dann doch aus dem Auto. Mit den „Helden“ wollte ich ein Foto machen. Heute frage ich mich: Wer von ihnen lebt wohl noch?

Am 27. Februar fuhren wir nach Kyjiw auf den Maidan. Dorthin, wo wir wochenlang die Bilder von den Demonstrationen gesehen hatten – von den Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften, Verfolgungsjagden, Feuer und Rauch. Aber auch von Mut und Durchhaltewillen. Gegen die RuZZifizierung. Für den Weg nach Europa.

Hätten wir ahnen müssen, hätten wir wissen müssen, was danach kam? Mit dem Wissen von heute – das ich mir über Jahre durch Lesen, Erzählungen und Yanas Ahnenforschung angeeignet habe – ja. Aus heutiger Sicht war der Angriff 2014 aus ruzzischer Perspektive leider logisch. Historisch logisch. Es war ja nicht das erste Mal.

Auf einem der Fotos hier bin ich mit dem „Biber“ zu sehen. Sein richtiger Name fällt mir gerade nicht ein. Genau so zufällig, wie ich ihn auf dem Maidan traf, traf ich ihn ein oder zwei Jahre später in Poltawa wieder. Er ist 22 oder 23 gefallen. Viel zu jung. Wie so viele.

Beim Durchsehen der Bilder – es sind viele mehr – frage ich mich bei jedem Gesicht: Lebt der noch?

Dieser Artikel ist im Original am 20.05.2025 bei Alexander Harder erschienen.

Avatar photo Die Eskalation des Krieges am 24.Februar 2022 hat alles verändert. Auch diese Seite und über was wir schreiben. Wir schreiben weiter über die Ukraine, was war, was ist und was wieder wird, wenn der Feind besiegt ist.
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